Dieser Beitrag erschien 1965 im Rahmen der Serie „Basler Schriftsteller“ im Basler „doppelstab“:
Der Dichter Rainer Brambach
Von Felix Feigenwinter
In der „Schweizer Rundschau“ vom 9. September 1965 wird der Basler Dichter Rainer Brambach neben Jeremias Gotthelf, Gottfried Keller, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt genannt, und zwar im Zusammenhang mit Übersetzungen von Werken von Schweizer Autoren in die ungarische Sprache. Dass Brambach zu den wesentlichen Vertretern zeitgenössischer deutschsprachiger Lyrik zählt, belegt ein Aufsatz, den ich kürzlich in einer österreichischen Literaturzeitschrift gelesen habe; Brambach wird dort als ein Vorbild der jungen Dichtergeneration bezeichnet.
Bisher sind vom heute 49Jährigen zwei Bücher erschienen:
„Tagwerk“, 45 Gedichte, herausgegeben 1959 im Fretz & Wasmuth-Verlag, Zürich
und
„Wahrnehmungen“, neun Prosastücke, verlegt 1961 ebenfalls bei Fretz & Wasmuth.
Bereits 1955 allerdings durfte Brambach für seine ersten zwölf Gedichte den Jacobi-Preis und 1958 den Preis des Kulturverbandes der deutschen Industrie entgegennehmen.
Übersetzt wurde er bisher in sieben Sprachen: in das Französische, Italienische, Englische, Ungarische, Tschechische, Kroatische und in das Romanische.
Als ich den (wie ich mir schildern liess) in einem grossen, spärlich möbilierten und mit drei Bildern ausgestatteten Zimmer im Dalbequartier still und zurückgezogen wohnenden ehemaligen Flachmaler und späteren Gärtner am Telefon fragte, wo ich ihn treffen könne, antwortete er: „Im 'Schlüssel'. Dort trinke ich am Nachmittag gerne ein Glas Roten.“
Die Serviertochter Irma, die uns dann im altehrwürdigen Zunfthaus an der Freien Strasse je einen Zweier Beaujolais auf den Tisch stellte, verriet mir spontan:
„Dr Herr Brambach isch e sanftmüetige Gascht; är schikaniert uns nie!“
So wusste ich gleich zu Beginn über einen persönlichen Wesenszug des Dichters Bescheid. Brambach ergänzte, dass er, wenn er ausgehe, am liebsten in den (rar gewordenen) idyllischen Basler Weinstuben verkehre - „wo kai Musik isch und wo nit gjasst wird“. Zuweilen taucht er indessen auch in der lärmigeren „Rio-Bar“ auf, um mit Bekannten – zum Beispiel mit Jürg Federspiel, Markus Kutter oder Christoph Mangold – zu reden.
Ausserdem erfuhr ich, dass Rainer Brambach gerne in die Landschaft hinauswandert. Auf solchen Ausflügen entwickelt er manchmal seine Gedichte. Er erzählte mir von einem einsamen Spaziergang auf das Bruderholz. Auf dem Heimweg bemerkte er im St. Margarethenpark hinter einem Baum einen Schatten. „Meine Phantasie gab mir ein, dass Edgar Allan Poe hinter dem Baum steht. Daraus ergab sich das Gedicht 'Poesie'. Es beginnt mit dem Satz: 'Ausser Poe und mir war niemand im Park'...“
Ein anderes Mal wanderte Brambach im Schwarzwald.
„Ein Freund war bei mir. Wir redeten und bekamen Streit. So marschierten wir stumm nebeneinander und begegneten schliesslich einem Knecht, der Holz spaltete.“
Dieses Erelbnis führte zum Gedicht „Das Beil“, das 1966 in einem neuen neuen Lyrikband vermutlich unter dem Titel „Aufenthalt“ im Verlag Fretz & Wasmuth erscheinen soll. Rainer Brambach sagte mir das Gedicht auswendig vor und gestattete mir, es im „doppelstab“ gewissermassen als „Vorpremiêre“ zu veröffentlichen:
"Verdrossen nach dem Streit um nichts /
Rechthaber du und ich um Wiedernichts /
kamen wir durch das fremde Dorf. /
Die Dämmerung mischte Jauche und Milch
vor den Ställen. /
Wir sahen unterm Scheunendach
den Knecht am Spaltstock /
sahen das Beil und hörten es eintreffen /
hörten noch lange hinter uns /
die Stille, das Beil, die Stille, das Beil /
wie es eintraf.“
Rainer Brambachs kurze, herbe Sprache, aber auch die Motive seiner im „Tagwerk“ enthaltenen Poesie brachten ihm den Ruf eines „Arbeiterlyrikers“ ein. Damit ist Brambach aber nicht einverstanden. Er hält zwar daran fest, formal einfach und allgemeinverständlich zu dichten. Thematisch will er sich jedoch nicht festnageln lassen. Das heisst nun freilich nicht, dass er seine Herkunft verleugnet. Er erzählte mir im Gegenteil sehr ausführlich und eindrücklich seine Jugendeindrücke und -erlebnisse im St. Johann, die er zum Teil im Prosa-Band „Wahrnehmungen“ festgehalten hat, von seiner „gewöhnlichen“ Schulbildung, die man ihm im St. Johann- und später im Pestalozzischulhaus angedeihen liess, von der Malerlehre anfangs der Dreissigerjahre, seiner Arbeit als Möbelspediteur, als Ausläufer bei einer Nährmittelfabrik und als Bauhandlanger. Später wurde Brambach Gärtner. Diese Beschäftigung in der von ihm innig geliebten Natur übt er heute noch aus - wenn er dazu kommt. Dieses Jahr war dies nicht der Fall, weil er viele Werbetexte zu schreiben hatte; darüber hinaus wurde er mit Lektorenaufgaben betraut, was ihm ermöglicht, zu existieren, denn dichten macht nicht reich. Aus diesem Grund erteilte Brambach auch einmal in einer achten Klasse des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums aushilfsweise Deutschunterricht.
Brambach, der über beträchtliche literaturgeschlichtliche Kenntnisse verfügt, die er sich autodidaktisch erworben hat, verehrt den österreichischen frühen Expressionisten Georg Trakl und bezeichnet Johann Peter Hebel als „Genie“. Im übrigen dient ihm der Hungertod César Vallejos, dessen peruanische Gedichte er als „grossartig“ erlebt, als Entkräftigung seiner eigenen Erfahrung, wonach sich nur gut genährt problemlos dichten lässt (Rainer Brambachs Lieblingsspeise: mit pikant gewürztem gehacktem Fleisch und provenzalischen Kräutern gefüllte Tomaten). Nach den Zukunftsplänen befragt, erklärt Brambach ernst und bescheiden, dass ihm nichts an einem möglichst umfangreichen Werk liege. Er bemühe sich auch in Zukunft, Gedichte und Prosastücke zu schreiben, zu denen er stehen könne, das heisst solche, die ihm das Gefühl geben, dass sie „solid und bleibend“ sind. Er bezweifelt, dass er je einen Roman verfassen wird. Hingegen hofft er, irgendwann seine Lebensgeschichte in einer längeren Erzählung niederlegen zu können. Auch beschäftigen ihn Reisegedanken („dr Norde zieht mi a!“).
Aber Basel will er treu bleiben, denn hier lebt er gerne - obwohl es ihn schmerzt, dass einige gemütlichen Idylle, wie das Wirtshaus „Sternen“ in der Aeschenvorstadt, dem „modernen Trend“ weichen mussten.
ZEITVERSCHOBENE ERGÄNZENDE ANMERKUNGEN ZUR BIOGRAPHIE VON RAINER BRAMBACH, entnommen einem in der Basler "TagesWoche" am 24. Februar 2012 erschienenen Leserbrief von Ulea Schaub, Basel:
"Rainer Brambach war Deutscher, seine Mutter Schweizerin, er selber deshalb ebenfalls Deutscher, aber in Basel aufgewachsen. Sein Einbürgerungsgesuch als junger Mann in den Dreissigerjahren wurde abgelehnt, und kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er nach Deutschland ausgewiesen (...) In Stuttgart fand der junge Mann Arbeit, wurde aber dann sofort in die deutsche Armee eingezogen. Mit Hilfe seiner Freundin und seines Bruders, die ihm in Weil Zivilkleidung bereithielten, konnte er desertieren und über die Wiese nach Basel fliehen. Als verdächtiger deutscher Flüchtling wurde er 'interniert' in Thorberg, später in Witzwil. Die Ausweisung aus seiner Heimatstadt (in den fast sicheren Tod) war eine Verletzung, die erst heilte, als er mit 65 Jahren den Basler Kunstpreis erhielt."
Der am 22. Januar 1917 geborene Rainer Brambach ist am 14. August 1983 in seiner Geburtsstadt Basel gestorben.