„doppelstab“ 26. März 1974 Karl Aegerter-Gedenkausstellung Von Felix Feigenwinter
Die Eröffnung dieser bis zum 21. April dauernden Schau fand am 16. März 1974 statt – also genau 86 Jahre nach Karl Aegerters Geburt in Basel. Da Aegerter im Gegensatz zu den meisten anderen Malern seine Arbeiten nie mit einer Jahreszahl versah, mag dem Uneingeweihten die Orientierung etwas schwerfallen. Andererseits lässt sich die über ein halbes Jahrhundert sehr kontinuierlich erfolgte Entwicklung in seinem Schaffen nicht nur vom Stil und von der jeweils angewandten Technik, sondern auch vom Motiv her relativ leicht ablesen. Das Bild mit der Nummer 23 etwa – ein Frauenakt, mit Bleistift und Tusche gezeichnet – hebt sich in jeder Beziehung deutlich von den anderen Arbeiten ab; es handelt sich hier eben um ein Frühwerk, das noch unter dem Einfluss der Studien an der Königlichen Akademie München (1915) bzw. an der Bayrischen Akademie der Bildenden Künste (1915 bis 1920) entstanden sein dürfte. Seine – zum Teil zu Fuss bewältigten! - Lern- und Wanderjahre führten Aegerter übrigens ausserdem nach Berlin und Dresden, nach Wien, Budapest und Rom, wo der arme Basler Jungkünstler dank eines Stipendiums der hiesigen Oeffentlichen Kunstsammlung weitere wertvolle Eindrücke in sich aufnehmen konnte. Später sah er sich auch in Brüssel und Paris um. Der wohl wesentlichste Impuls seiner Malerei dürfte allerdings seine persönliche Betroffenheit über erlebte und beobachtete soziale Not, über menschliches Elend gewesen sein; sein Engagement wurde auch sozial, ja politisch. Das beeinträchtigte seine Kunst in keiner Weise – im Gegenteil: Diese Motivation verlieh seinem Schaffen jene lodernde Kraft, die sich nicht nur in den kräftigen, sozialkritischen Figurenbilder der Dreissiger- und Vierzigerjahre (in der Galerie Orly zum Teil in Mappen zu besichtigen), sondern auch in vielen expressionistisch bewegten Landschaftsschilderungen aus jener Zeit ausdrückt. Später wurde Aegerters Malerei etwas sachlicher, „kühler“, abstrakter – und in einem gewissen Sinn wohl auch raffinierter - , aber auch in diesen reifen Werken blieb er uneingeschränkt sich selber treu: seine Unbestechlichkeit, seine reelle Auffassung gegenüber seiner künstlerischen Arbeit – und der Arbeit gegenüber überhaupt – liessen es niemals zu, dass er der Bequemlichkeit der Routine nachgab, dass er nur noch seine hohen handwerklichen und kompositorischen Fertigkeiten ausspielte und das Engagement gewissermassen auf Sparflamme stellte. Jedes seiner in einer Zeitspanne von einem halben Jahrhundert entstandenen Bilder legt Zeugnis ab von einem Künstler, der bis zu seinem letzten Werk nicht nur seiner sozialen Umwelt, sondern vor allem auch sich selber und seiner Arbeit gegenüber in hohem Masse kritisch eingestellt war. Dass die Kaufpreise der in der Galerie Orly ausgestellten Arbeiten verhältnismässig sehr günstig sind, gehört weiter zu den Erfreulichkeiten der bemerkenswerten Schau in der St. Johannsvorstadt. |