Besuch beim damaligen Nationalrat, Parteipräsidenten der SPS und Regierungsratskandidaten Helmut Hubacher in dessen Basler Wohnung. Der Beitrag erschien im "doppelstab" im Hinblick auf die baselstädtischen Regierungsratswahlen 1976.
Wahl zwischen Reformismus und Reaktion
Von Felix Feigenwinter
Helmut Hubachers privates Briefkastenschild am Hause Arnold-Böcklin-Strasse 41 ist von zwei anderen Schildern umgeben. Auf dem einen steht: "Eisenbahnerverband, Unterverband APV, Sekretariat", und auf dem anderen: "Versicherungskasse des Schweiz. Eisenbahnerverbandes, Verwaltung".
Ob das ein Zufall ist?
Die äusseren Umstände sprechen dafür, aber vor Jahren, als die Hubachers in jene schöne, alte Wohnung einzogen, übte der heutige Nationalrat, Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und hauptberuflicher Basler Gewerkschaftskartell-Sekretär, seine frühere Tätigkeit auf der Zentrale des Schweizerischen Eisenbahnerverbandes in Bern nicht mehr aus, sondern er war nach Basel zurückgekehrt, um vorerst den Posten des Basler VPOD-Sekretärs zu übernehmen. Trotzdem erinnern diese Schilder an Helmut Hubachers frühere Vergangenheit - und auch an seine heute noch lebendige Treue zur Eisenbahn. Man muss es selbst erlebt haben, mit welch liebevoller Hingabe dieser Mann die Vorzüge des Eisenbahnfahrens schildert. Für ihn ist die Eisenbahn ein vorzügliches Mittel, um nicht nur bequem und schnell beispielsweise zwischen Basel und der Bundeshauptstadt hin- und herzufahren - oder, als er noch AZ-Chefredakor in Zürich war, zwischen dem Rheinknie und der Limmatstadt - ; nein, für ihn ist sie auch Lese- und somit Arbeitsstube, und sie vermittelt ihm dazu willkommene Gelegenheiten zur Kontaktpflege zu irgendwelchen Menschen, die er als Politiker nicht missen möchte. Das alle böte ihm ein eigener Wagen nicht: "Im Auto könnte ich auch nicht ausruhen. In der Eisenbahn muss ich nicht am Steuer hocken, ich bin nicht übermüdet - und meine Frau muss keine Angst haben!"
Auch privat vermisst Helmut Hubacher das Auto nicht: "In zehn Minuten sind wir von unserer Wohnung aus zu Fuss am Waldrand. Wenn wir ein Auto hätten, wäre ich ein typischer Sonntagsfahrer - und würde entsprechend schlecht fahren." Wenn er allerdings in Baselland wohnen würde, sähe die Sache etwas anderes aus: "Dann käme ich ums Autofahren wohl nicht herum - denn die Tramverbindungen ins Baselbiet sind noch zu wenig attraktiv!"
"Basel hat mehr Pfiff"
Angefangen hat die "SBB-Karriere" des 1926 in Bern geborenen Buchhaltersohns mit einer Ausbildung an der Verkehrsschule in Biel. Danach hatte Helmut Hubacher Gelegenheit, im Stationsdienst in zwanzig verschiedenen Bahnhöfen und Stationen verschiedene Schweizer Orte kennenzulernen. 1946 landete er in Basel, wo er in der "Sozialistischen Jugend" seine heutige Frau kennenlernte. Für ihn war Basel aber auch sonst eine Offenbarung: "Ich wurde hier schnell heimisch, und es gefiel mir sofort viel besser als zum Beispiel in Bern. Basel hat mehr Pfiff; die Basler sind die Welschen der Deutschschweiz."
Was er in Basel - etwa im Gegensatz zu Zürich - ebenfalls sehr schätzt, ist seine "überschaubare Grösse". "In Zürich möchte ich nicht wohnen. Als ich als AZ-Chefredaktor während drei Jahren in Zürich arbeitete, fuhr ich jeden Abend nach Basel zurück."
Überhaupt scheint Helmut Hubacher sehr häuslich zu sein: Als eines seiner "Hobbies" nennt er das "Wohnen". "Ich habe immer mehr das Bedürfnis, gemütlich zu wohnen und Leute um mich zu haben, mit denen ich Gedanken austauschen kann."
Zu seinen Freizeitbeschäftigungen gehört aber auch das Lesen politischer und anderer Bücher, und als "ausgesprochener Geniesser des Schauspiels" zieht es ihn des öftern ins Theater. Spannung und Entspannung findet er sodann beim Fussballspiel - wobei er sich als Aktiver langsam zurückgezogen hat, "weil es sich von einem gewissen Alter an nicht mehr empfiehlt, ohne Training Matchs zu bestreiten". Mit grossem Interesse verfolgt er aber die Leistungen des FCB und seiner "heimlichen Liebe", der Berner "Young Boys". "Wenn es dem FCB nicht rollt, so wende ich mich mehr den 'Joung Boys' zu - aber wenn der FCB gegen die 'YB' spielt, so bin ich schon eher auf der Seite der Basler!"
Aktiven Sport betreibt Helmut Hubacher nach wie vor als leidenschaftlicher Wanderer (täglich spätabends mit Hund und am Wochenende und in den Ferien ausgiebig mit der ganzen Familie), als Schwimmer und - als Jasser.
Der Grossvater war sein Vorbild
Von seinem Beruf als junger SBB-Beamter her drängte sich seine frühe Bindung zur SP eigentlich nicht auf: Wie Helmut Hubacher selber sagt, waren die Beamten damals "eher freisinnig". Übrigens war auch sein Vater nicht bei der SP; er habe sich von der Politik zurückgezogen und sich mehr für Kulturelles interessiert. Sein Vorbild sei vor allem sein - heute noch lebender, 98jähiger! - Grossvater, ein einfacher Fabrikarbeiter und Sozialist, der bis vor einem Jahr die "Tagwacht" auch ohne Brille las, wie ich höre. Helmut Hubacher ist bei seinen Grosseltern aufgewachsen, und der Grossvater hat ihm in seiner einfachen Art als "richtiger Arbeiter" einen tiefen Eindruck hinterlassen.
Die Schweiz braucht keine Revolution
Als Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz findet Helmut Hubacher eine Abgrenzung der "demokratischen Sozialisten" nach links und nach rechts richtig; doch in diesem Zusammenhang betont er: "Wir Sozialdemokraten brauchen Konkurrenz auch von der linken Seite - es verhindert, dass wir verkalken". Zur Kritik an der Sozialdemokratie von der Seite "ganz Linker" wiederholt er, was er bereits am letztjährigen Parteitag gesagt hatte:
"Wenn Kritiker von extrem links höhnen und uns Sozialdemokrarten als Revisionisten verspotten, dann kann ich ihnen nur antworten: Es ist Unsinn, zu erklären, die Schweiz brauche eine Revolution. Wir haben nicht die Wahl zwischen Revolution und Reformismus, wir haben die Wahl zwischen Reformismus und Reaktion."
Und diese politische Linie stimme mit jener der POCH nicht überein. Anderseits räumt Hubacher selbstkritisch ein, "dass die SP vielleicht nicht ganz unschuldig ist, dass die POCH entstanden ist: Wir haben es eine zeitlang nicht verstanden, die jugendliche Opposition zu integrieren".
Im übrigen gesteht Helmut Hubacher, dass, nachdem er zwanzig Jahre im Parlament mitgemacht hat, es ihn nun reize, als Regierungsrat Konkretes zu realisieren. Er vergleicht den Schritt vom Parlamentarier zum Exekutiv-Mitglied mit seinem früheren Wechsel vom AZ-Chefredaktor zum Gewerkschaftssekretär: Er sieht darin den Schritt vom Produzieren kreativer Ideen zum Verwirklichen derselben. Die Einschränkung, dass ein Regierungsrat nicht auch gleichzeitig Nationalrat sein könne, findet er als absolute Forderung unzulässig. Es könne nichts schaden, im Parlament in Bern auch einen Regierungsrat zu haben. In den letzten Jahren sei das ein spürbarer Mangel gewesen.
Den Hinweis auf den Zeitmangel hält er für ein sehr fadenscheiniges Argument: "Wenn Regierungsräte aus Zeitmangel nicht mehr nach Bern gehen können, dann könnten es Vertreter anderer Berufsgruppen auch nicht mehr!"