doppelstab“ 21. Juni 1978:

Der Kunstsammler Robert von Hirsch

Wurde eine „Jahrhundert-Chance“ verpasst? Hat mangelndes Fingerspitzengefühl der Basler Regierung oder/und anderer einflussreicher Kreise dazu geführt, dass grosse Teile der weltbekannten Kunstsammlung von Robert von Hirsch für Basel verloren gingen? Baron von Hirsch war Jude und musste 1933 aus seiner Heimatstadt Frankfurt vor den Nazis nach Basel fliehen, wo er sich an der Engelgasse niederliess. Aus Dankbarkeit habe der 1977 94jährig verstorbene Wahlbasler seinen wertvollen Kunstschatz der Stadt Basel vermachen wollen – unter gewissen Bedingungen, war zu erfahren. Aber Basler Instanzen hätten diese Chance vermasselt. Im Juni 1978 wird die Sammlung in London versteigert.


 Alibi-Übung

Von Felix Feigenwinter


Auf den ersten Blick scheint die Situation verworren. Auf der einen Seite rühmt sich „Basel, die Kunst- und Museumsstadt“ immer noch der Pioniertat einer kunstbegeisterten Öffentlichkeit vor gut einem Jahrzehnt. Damals hatten die städtischen Stimmbürger ihre Kunstfreundlichkeit in einer einzigartigen Demonstration unter Beweis gestellt: Nachdem der Grosse Rat sechs Millionen Franken bewilligt hatte, um zwei gefährdete Picasso-Bilder aus dem Rudolf Staehelin-Depositum dem Kunstmuseum zu erhalten, wurde in der Öffentlichkeit ein „Bettler-Fest“ durchgeführt. An diesem wurden die für den Kauf dieser beiden Kunstwerke nötigen restlichen 2,4 Millionen „zusammengetrommelt“. Das Referendum, das gegen den Grossrats-Beschluss ergriffen worden war, konnte es nicht verhindern: Mit grossem Mehr sanktionierte das Basler Stimmvolk den ebenso grosszügigen wie kunstfreundlichen Parlamentsentscheid. Die Stadt Basel, deren Kunstmuseum schon lange vorher (auch ohne Picasso) Weltruhm genoss, wurde in der internationalen Presse mit Lorbeeren bedacht. Den greisen Pablo Picasso hatte die Nachricht derart gerührt, dass er vier andere seiner Werke als Geschenk „nachlieferte“, und Maja Sacher steuerte aus ihrem Privatbesitz „in Dankbarkeit und Freude“ ein weiteres bei. Ihrer reichhaltigen, vor allem von einzelnen Kunstliebhabern und -sachverständigen zusammengetragenen und bewahrten Kunstsammlung aus dem Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert hatten sich die Basler damals, in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, als würdig erwiesen. Das „Bekenntnis zu Picasso“ erwies sich als ein Bekenntnis zu einem ideellen Wert – zu einem Kulturgut, das zwar für Millionen für Basel gerettet, damit aber nur symbolisch „bezahlt“ werden konnte. Das Basler Volk, so schien es, hatte das damals begriffen. Die im Besitz von Basel befindlichen Picasso-Helgen bilden heute zusammen mit den spätmittelalterlichen Werken aus dem Amerbach-Kabinett, den Sammlungen aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert sowie mit dem alle wichtigen Stilrichtungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vertretenden jüngeren Sammelgut das Aushängeschild nicht nur des Kunstmuseums, sondern der „Museumsstadt Basel“ überhaupt. Dass ein wesentlicher Teil der modernen Werke übrigens aus jenen Beständen stammen, welche Hitlers Barbaren als „entartete Kunst“ bezeichnet hatten, sei nicht vergessen.

Auf der anderen Seite: Nur wenige Jahre nach dem glanzvollen Picasso-Bilder-Kauf regte sich aus dem (fast) gleichen Basler Volk heftige Opposition, nachdem die mit Steuergeldern berappte „Heuwaage-Plastik“ von Michael Grossert aufgestellt worden war – wobei notabene der Geldpreis für jenes Werk nicht einmal ein Prozent von jenem Betrag ausmachte, den die Basler keine zehn Jahre zuvor für die beiden Picasso-Helgen ausgelegt hatten... Und wenige Monate später provozierte die Anschaffung von Joseph Beuys' „Feuerstätte“ fürs Kunstmuseum einen weiteren öffentlichen Krach – auch jenes Werk hatte einen winzigen Bruchteil jener Millionen gekostet, die ein Jahrzehnt zuvor Steuerzahler und freiwillige Spender für zwei Picasso-Bilder hingeblättert hatten.Was war geschehen? Hatte die Basler Bevölkerung einen grundlegenden Sinneswandel durchgemacht? Waren's die schlechteren wirtschaftlichen Zeiten, der leer gewordene Staatssäckel oder/und die allgemeine Staatsverdrossenheit, welche die Rheinknie-Bewohner von generösen Kunstfreunden zu unduldsamen, geizigen Verächtern staatlicher Kunstförderung gemacht hatten?

Eine solche Schlussfolgerung könnte jenen gefallen, welche die „Affäre von Hirsch“ direkt oder indirekt zu verantworten haben. Gäbe das nicht eine bequeme Entschuldigung ab für die Unterlassungssünde, nicht mit aller Kraft und Entschiedenheit das von Robert Hirsch offenbar wiederholt in Aussicht gestellte Vermächtnis ermöglicht zu haben? Den Verantwortlichen, die sich in dieser Sache von Amtes wegen für die Interessen der Stadt Basel hätten einsetzen sollen, musste eines nicht verborgen geblieben sein: Dass viele jener Bürger, die gegen Grosserts „Heuwaage-Plastik“ (beziehungsweise deren Finanzierung mit Steuergeldern) und Beuys' „Feuerstätte“ Sturm gelaufen sind, unterschieden haben zwischen „Picasso“ (und anderer „etablierter“ Kunst) einerseits und Grossert sowie Beuys andererseits. Ob in richtiger oder falscher Einschätzung der tatsächlichen Werte der Arbeiten dieser drei verschiedenen Kunstschaffenden bleibe hier dahingestellt (weil diese Frage ohnehin erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten einigermassen zuverlässig beantwortet werden kann). Als Beauftragte einer demokratischen Öffentlichkeit hätten jene Leute, die sich offensichtlich viel zu wenig – oder jedenfalls zu wenig flexibel - um das von Robert von Hirsch ursprünglich beabsichtigte Legat bemüht hatten, die differenzierte Ausgangslage besser berücksichtigen müssen, unabhängig von persönlichen Aversionen. Bereits ist in der Diskussion das Argument aufgetaucht, wonach der Wirbel um die „Heuwaage-Plastik“ öffentliche Unlust, ja Feindschaft gegenüber staatlicher Kunstförderung generell aufgezeigt habe, was die fehlende Motivation der Verantwortlichen für das (davongeschwommene) Legat von Hirsch begreiflich mache.

Das wäre sogar als Ausrede zu billig. Denn das von Robert von Hirsch der Stadt Basel vermutlich aus Verärgerung „entzogene“ Vermächtnis hätte mit Sicherheit nur Werke umfasst, die auch jenen Baslern Bewunderung abgerungen hätte, die staatlicher Förderung (noch) nicht etablierter Kunst skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Dann aber vor allem auch dies: Selbst wenn der „Preis“ dieses Geschenks (wie man hört) in ungewöhnlichen Auflagen betreffend Präsentation dieser kostbaren Werke im Museum bestanden hätte, so hätte die einzigartige Gelegenheit aussergewöhnliche Massnahmen gerechtfertigt.

Die nachträgliche Aktion, die gegenwärtig Basel mit drei Steuer-Millionen an der Versteigerung der von Hirsch-Sammlung in London wenigstens einen kleinen symbolischen Teil des davongeschwommenen Legats sicherstellen soll, entpuppt sich als eine nach allem Vorangegangenen äusserst peinliche Alibi-Übung.

Als Vorbild wird sie in die an mutigen und verdienstvollen Rettungsaktionen so reiche Geschichte der öffentlichen Basler Kunstsammlung jedenfalls nicht eingehen können.