Am 10. Dezember 1963 erschien in den „Basler Nachrichten“ die folgende Reportage über die Geldsammlung der „Heiligen Drei Könige“ zur Adventszeit in der Basler Innenstadt:
König Melchior plaudert aus der Schule
Von Felix Feigenwinter
Vor einem Spiegel mustert ein Mann seinen wallenden weissen Bart und sagt mit zerfurchtem Gesicht: „Wenn man denkt, dass ich erst fünfunddreissig Jahre alt bin“.
Ein Mann in einer weissen Arbeitsschürze setzt dem jungen Greisen eine golden schimmernde Krone auf und meint: „Jetzt sind Sie eben der König Melchior“.
König Melchior arbeitet normalerweise im Dekorationsatelier eines Basler Modehauses, und der Mann im weissen Kleid ist der Theatercoiffeur Josef Kaltenbach. Jedes Jahr im Dezember erscheinen im Salon des Theatercoiffeurs drei Schaufensterdekorateure und lassen sich in drei heilige Könige verwandeln. Als solche stehen sie dann während vier Nachmittagen und Abenden vor dem Stadtcasino und nehmen Geldspenden für wohltätige Zwecke entgegen. „Dieses Jahr sammeln wir am 11., 14., 18. und 21. Dezember zugunsten des Vereins für körperliche und geistige Entwicklung“, verrät uns König Melchior, der sich einige Tage vor seinem öffentlichen Auftritt als fürstlicher Bettler im Coiffeursalon eingefunden hat, um sich photographieren zu lassen.
Ein eigenwilliger Esel
Zu den drei Weisen aus dem Morgenland gesellen sich jedes Jahr auch der Hirt mit dem Esel, will sagen ein verkleideter Wärter mit einem der schönsten Exemplare aus der Grautierzucht des Zoologischen Gartens. König Melchior sagt, es sei ein eigenwilliger Esel. Wenn es abends eindunkle, gebe er dem Hirten Püffe, bis ihn dieser in den Stall zurückführe. Der Esel ist aber der Liebling der Kinder, die ihn mit Rüben und Zucker füttern, was dem Esel allerdings nicht immer gut bekommt.
Bis vor zwei Jahren bezogen die drei Könige ihre Gewänder aus der Garderobe des Stadttheaters. „Das war manchmal mit Komplikationen verbunden“, höre ich. „Einmal mussten wir mit zerschlissenen Kleidern vorlieb nehmen, weil die schönen von den Schauspielern in einer Aida-Aufführung getragen wurden.“ Inzwischen ist das Problem gelöst. Ein Dekorationslieferant hat den drei Königen Seide und Samt geschenkt, und ein Dekorationslehrling fertigte damit die drei prachtvollen Gewänder an, in denen die „drei Weisen aus dem Morgenland“ neuerdings die Geldspenden in Empfang nehmen. Die Kinder seien die eifrigsten Spender, berichtet König Melchior. Sie würden mehrmals hintereinander ihre Batzen in den Sammelbehälter werfen, um zu sehen, wie sich die drei Weisen zum Dank dafür verneigen. „Die Verbeugungen wirken sich in der Dezemberkälte wohltuend wärmend aus. Einer meiner Kollegen verdankt ihnen die Heilung seines Rheumatismus.“
Die Bitte eines Knaben
Der Dekorateur im Gewand des König Melchior erzählt weiter: „Ich erinnere mich an einen kleinen Knaben, der wissen wollte, woher wir kommen. Ich sagte ihm, wir seien die drei Weisen aus dem Morgenland. Darauf fragte der Knabe enttäuscht, ob wir denn nicht vom Himmel gesandt seien. Ich antwortete: Doch, wir kommen aus dem Morgenland und aus dem Himmel“. Das Kind sagte mir daraufhin, seine Mutter sei gestorben und ich solle ihn doch mitnehmen, wenn ich wieder in den Himmel zurückkehre.“
Gratisstrom
„Es versteht sich, dass unsere Sammlungen spesenfrei durchgeführt werden“, versichert der Initiant der Sammelaktion der heiligen drei Könige, Adolf Gehrig. „Sogar das Elektrizitätswerk stellt gratis Strom und Scheinwerfer zur Verfügung, damit die drei Könige nachts gesehen werden.“
Zum erstenmal standen die Könige im Jahr 1948 vor dem Casino und sammelten zugunsten der „Glückskette“ von Radio Basel. Seit 1953 beteiligen sich auch die Sektionen anderer Städte an der Weihnachtsaktion des Verbandes Schweizerischer Schaufenster-Dekorateure. Adolf Gehrig stand früher selber als König Balthasar vor dem Stadtcasino. Er erinnert sich: „Ein alter, ärmlich gekleideter Mann bat mich einmal, ein Einfrankenstück mit zwei Fünfzigrappen-Stücke zu wechseln. Nachdem ich dies getan hatte, warf der Mann den Fünfziger in einen der Sammelbehälter; den anderen steckte er in sein Portemonnaie. Er erklärte mir, er wolle auch etwas für die Flüchtlingskinder, für welche wir damals sammelten, tun, aber leider könne er nicht mehr geben, da ihm das andere Fünfzigrappen-Stück bis zum Neujahr ausreichen müsse. Noch heute bin ich tief beeindruckt von der Selbstlosigkeit dieses armen Mannes.“
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