"doppelstab" 22. März 1974
Hässlicher Erwachsenenstreit im Kinderspielzeugladen
Von Felix Feigenwinter
Erschien da kürzlich in einem Geschäft für Kinderspielwaren eine Mutter mit zwei kleinen Mädchen und legte 64 Franken in Münz (50-Rappen-Stücke sowie Ein- und Zweifränkler) auf den Ladentisch: Das in einem halben Jahr für zwei heissbegehrte, je 32-fränkige Puppen sorgsam gesparte Geld! Alles Verständnis für überlastete, nervöse Verkäuferinnen. Aber der Laden war zu jenem Zeitpunkt relativ kundenleer, von Überforderung des Personals konnte keine Rede sein (ausser dem erwähnten Kundentrio befand sich nur noch der Schreibende im grossen Geschäft mit vielleicht einem halben Dutzend Verkäuferinnen - ich als zufälliger Beobachter, auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für meine Nichte). Eine zweite Verkäuferin mischte sich in die Abwicklung des Handels ein. Und zwar mit der bissigen Bemerkung, so viel Kleingeld würde hier nicht angenommen. Da nützten alle Schilderungen der Mutter über den rührenden Spareifer ihrer Kinder nichts: Die beiden Mädchen mussten erleben, wie sich ein hässlicher Erwachsenenstreit um das von ihnen gesparte Geld entspann. Dass dann die zusammen immerhin 64 Franken teuren Puppen trotzdem den Laden in den Armen der zwei Nachwuchs-Mütterchen verliessen, hing nur damit zusammen, dass die arg zurechtgewiesene und beschimpfte Kundin ihren Kindern eine weitere Enttäuschung ersparen wollte und aus ihrem Portemonnaie schliesslich eine Hundertfrankennote zog, um das peinliche Intermezzo zu beenden.
Ich frage mich allerdings, ob diese jetzt an ihren Puppen immer noch jene grosse Freude haben wie während des halben Jahres, als sie ihre "Göttibatze" und klingenden Anerkennungen für kleine Hilfeleistungen mit fiebriger Erwartungsfreude zusammengelegt hatten. Und ob sich ihr lobenswerter Sinn fürs Sparen nach dieser ersten üblen Erfahrung noch aufrechterhalten lässt. Ganz grundsätzlich sei aber auch die Frage erlaubt: Ist es vermessen, von einer Verkäuferin wenigstens eines auf Kinderartikel spezialisierten Fachgeschäfts etwas mehr Einfühlungsvermögen in die kindliche Psyche zu erwarten, als dies beim geschilderten Intermezzo zum Ausdruck gekommen ist?