„doppelstab“ 24./25. Januar 1980:
Rückkehr eines Vertriebenen
Von Felix Feigenwinter
Siebzig Jahre liegen zwischen seinem ersten Auftritt als damals l5jähriger Hans Huber-Klavierschüler in Basel und der Aufführung im Grossen Saal der Musikakademie am Freitagabend dieser Woche. Als junger Klavierlehrer war der 1895 in Basel geborene Ernst Lévy anfangs der Zwanzigerjahre nach Paris gezogen, weil er sich dort bessere Entwicklungsmöglichkeiten als Musiker versprach als am Rheinknie, wo er sich nach seiner eigenen Aussage wie „Kaffeesatz“ vorkam. 1928 gründete er in der französischen Metropole den Chor Philharmonique de Paris, doch wenige Jahre später zwang ihn die Judenverfolgung in Hitler-Deutschland und anderen europäischen Ländern zur Flucht in die Vereinigten Staaten. Dort verbrachte er den grössten Teil seines Lebens und musikalischen Wirkens; wegen seines jüdischen Namens hätte er während der finsteren Hitler-Jahre sogar in der Schweiz keine Aufnahme und geeignete Beschäftigung gefunden.
Merkwürdig ist aber auch, dass dieser aus Europa emigrierte Basler Dirigent und Komponist in seiner ursprünglichen Heimatstadt als Musiker lange Zeit vergessen war: Obwohl er in den Siebzigerjahren, also bereits in hohem Alter, nach seinem Umzug aus den Vereinigten Staaten an seinen heutigen Wohnort Morges über dem Genfersee wieder in Basel tätig geworden war – nämlich vorübergehend als staatlicher Experte der Diplomprüfungen am Basler Konservatorium - , verstrichen sage und schreibe über dreissig Jahre, bis jetzt am Freitag Werke von ihm in Basel wieder zur Aufführung gelangen. Die bittere Erkenntnis, dass der Prophet (in diesem Fall der Komponist) in seiner Heimatstadt nichts gilt, fand also wieder einmal unrühmliche Bestätigung. Zum Glück gibt es die „Kammerkunst Basel“, jenen idealistischen, nun schon seit bald ein halbes Jahrhundert existierenden Verein, der sich bemüht, derartige Nachlässigkeiten zu korrigieren. Die von der „Kammerkunst Basel“ organisierten Konzerte gehören zum Interessantesten und Apartesten, was die Musikstadt Basel bezüglich Kammermusik zu bieten hat. Dennoch kämpft der Verein seit Jahren bisher vergeblich um eine regelmässige staatliche Subvention. Dies führte dazu, dass der frühere langjährige „Kammerkunst“-Präsident Hans Balmer zeitweise jährlich fünf- bis sechstausend Franken aus eigenem Sack berappen musste. Der heutige Präsident, Thüring Bräm, möchte die Konzerttätigkeit trotz den finanziellen Problemen keinesfalls einschränken. Indem er nach Möglichkeit Musiker aus der Musikakademie beizieht, versucht er die Kosten möglichst gering zu halten. Das Konzert vom Freitagabend dieser Woche wird von jungen Lehrern aus der Musikschule bestritten. Auf dem Programm stehen Ernst Lévys „Fantasie dialoguée“ für Klavier und Orgel, seine „Sonata accompagnata per il violino“ mit Violine und Klavier und die „Sonata strofica for a chamber music ensemble“ - alles späte Werke aus den Jahren 1978, 1971 und 1970. Ausserdem gelangen von Ernst Lévy bearbeitete vier Volkslieder zur Aufführung; unter der Leitung von Thüring Bräm singt ein Extrachor der Regio-Singgemeinschaft Binningen.
Der inzwischen 85 Jahre alt gewordene Ernst Lévy – auch im Greisenalter immer noch aktiv und musikalisch produktiv – lässt es sich nicht nehmen, zum Konzert vom Freitagabend von Morges nach Basel zu reisen. Eine öffentliche Würdigung dieser hervorragenden, im Ausland bedeutend gewordenen Basler Musikerpersönlichkeit durch ein repräsentatives (wenngleich nicht staatlich subventioniertes) Organ der viel zitierten und propagierten „Musikstadt Basel“ erfolgt somit spät – doch nicht zu spät, um vom Geehrten bewusst erlebt werden zu können.