"doppelstab" 10. März 1977

"Underschrift vom Vatter"

Von Felix Feigenwinter

Zwei öffentliche Basler Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art haben mich im Verlauf der letzten zwei Wochen stark beeindruckt. Erstens - und dies widerfuhr natürlich vielen tausend anderen Regio-Bewohnern ebenso - die Fasnacht mitsamt dem Morgestraich. Und zweitens die Ausstellung "Frauen in der Schweiz", die im Gewerbemuseum in der Spalenvorstadt noch bis zum 13. März zu besichtigen ist. Berührt hat mich diese zwar etwas fragmentarisch präsentierte, aber dennoch sehr aufschlussreiche Schau vor allem daher, weil sie Einblick in ein wesentliches Stück Schweizer und Basler Geschichte des 20. Jahrhunderts gibt, über das in Geschichts-Büchern (bisher) wenig zu lesen ist. Bilder, Auszüge aus Zeitungsartikeln und statistischen Tabellen zeigen einen jahrzehntelangen, für die Betroffenen offensichtlich überaus zermürbenden, ja demütigenden Kampf für die gesetzliche und praktische Gleichberechtigung der Frauen. Dieser von Geschichtsschreibern vielfach heruntergespielte Bürgerrechts-Kampf  "in der ältesten Demokratie der Welt" erscheint aus heutiger Rückschau, in der Phase der allmählichen "Bewusstseinsöffnung" für die besonderen Anliegen der Bürgerinnen - inklusive der grossen schweigenden Mehrheit der Hausfrauen und Mütter - hochbrisant und aufrüttelnd.
 

Da wird man beispielsweise an den Streik von 50 Lehrerinnen des Mädchengymnasiums Basel am 3. Februar 1959 erinnert, der als dezidierte Demonstration gegen den zwei Tage zuvor vom Schweizer (Männer-)Stimmvolk gefällten Entscheid gegen das Frauenstimmrecht inszeniert worden war. Die streikenden Bürgerrechts-Kämpferinnen am Gymnasium wurden für ihre Tat mit disziplinarischen Massnahmen in Form eines Verweises und mit Abzug eines Taglohnes bestraft. Zudem hatten die Lehrerinnen das Missfallen des damaligen (natürlich rein männlichen) Regierungsrates auf sich gezogen, der "mit Befremden von dieser sinnlosen Aktion Kenntnis genommen" hatte. Und auch der (damals selbstverständlich ebenfalls ausschliesslich männliche) Grosse Rat zeigte wenig Verständnis für das Anliegen und Vorgehen dieser Frauen. Dies veranlasste Anneliese Villard-Traber, welche die betreffende Sitzung von der Tribüne aus verfolgt hatte, dazu, in einem Zeitungskommentar festzustellen, dass man (beziehunggsweise frau) "ein neues Mal gespürt" habe, "wie ausgestossen, wie völlig rechtlos wir sind auf politischem Gebiet". "Mit keinem Wort" habe "die Antwort des Regierungsrates gezeigt, dass er das begriffen hat."
 

Vermutlich hatte der Streik der Basler Gymnasiallehrerinnen aber doch mehr Basler Männer wachgerüttelt, als dies vorerst vermutet worden war, denn sieben Jahre später, 1966, führte Basel-Stadt als erster Kanton der deutschen Schweiz das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene ein. Bis dies auch auf Bundesebene geschah, bedurfte es (unter anderem) eines spektakuläres "Marsches auf Bern" am 1. März 1969, über den in der Ausstellung "Frauen in der Schweiz" ebenfalls Interessantes zu erfahren ist. Der vom Basler und Zürcher Stimmrechtsverein organisierten Kundgebung schlossen sich rund fünftausend Bürgerinnen und Bürger an. Nachmittags um 15.00 Uhr versammelten sich "Frauen und Männer jeden Alters aus der ganzen Schweiz" auf dem Bundesplatz. Nach einer Begrüssung durch Frau Dr. Emilie Lieberherr wurde eine Resolution verlesen und anschliessend zuhanden des Bundesrates und Parlaments dem Bundeskanzler Dr. Huber überreicht. In der Resolution wurde u.a. darauf hingewiesen, "dass die Gleichstellung der Geschlechter eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der Menschenrechte ist" und dass die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten erst dann unterzeichnet werden könne, wenn diese Voraussetzung erfüllt sei. Die Annahme des eidgenössischen Stimm- und Wahlrechts für Frauen am 7. Februar 1971 schien zu beweisen, dass die Kundgebung mitsamt dem anschliessenden Pfeifkonzert (zu Ohren des Bundesrats, des Parlaments und der Mehrheit der Schweizer Männer) doch Gehör gefunden hatte.
 

Ein - an der Ausstellung im Gewerbemuseum ebenfalls möglicher - Blick auf den durchschnittlichen Anteil der Frauen in den Parlamenten unseres Landes (Ständerat: o,5 Prozent, Nationalrat: 7 Prozent, Kantonsparlament: 6 Prozent) - bestätigt allerdings, dass die Situation der Frauen in der Schweiz heute, elf Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts in Basel-Stadt und sechs Jahre nach jener im Bund, immer noch stark verbesserungswürdig ist. Wer trotzdem daran zweifelt, dem sei zum Beispiel das Lesen eines rosa Zettels empfohlen, den ich letzte Woche in die Hand gedrückt bekommen habe. Beim betreffenden Papier handelt es sich nicht um ein historisches Dokument aus der Ausstellung "Frauen in der Schweiz", sondern um einen aktuellen Anmelde-Talon von der Fasnacht 1977. Absender: Alti Glaibasler Setzlig. Und da steht unter der Überschrift "Aamäldig fir d'Drummel- und Pfyfferschuel vo de-n-AGB-Setzlig" zu lesen:

"Buebe ab 8 Johr, Kursgäld 50 Frangge."

Mädchen sind da also offenbar gar nicht erst vorgesehen, was weiter nicht so tragisch ist, weil es heute genug andere Cliquen gibt, in denen auch Mädchen pfeifen können. Dass die "Alti Glaibasler Setzlig" aber nicht nur nichts von pfeifenden Mädchen, sondern auch nicht viel von ihre Söhne anmeldenden Müttern hält, ist augenscheinlich. Auf dem Anmelde-Talon prangt nämlich schwarz auf rosa:

"Underschrift vom Vatter".

Fertig. Als ob wir immer noch im tiefsten Patriarchat lebten, und als ob es (beispielsweise) nicht auch alleinstehende Mütter gäbe, deren Kinder auch gerne pfeifen lernen würden...